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01.05.1999

Wie man seinen Platz findet

Man macht immer wieder die gleichen Fehler, hat zu Hause dieselben Probleme wie im Job: Die Systemische Familientherapie hilft, alte Muster zuerkennen und Probleme auf fast magische Weise zu lösen.

Die meisten haben schon mal davon gehört, doch wer sie nicht selbst erlebt hat, weiß eigentlich nicht so recht, worum es dabei geht: bei der Familienaufstellung nach Bert Hellinger. Es heißt, bei dieser Art von "Schnelltherapie"-Seminaren und -Workshops treten problematische Verstrickungen zwischen Personen zutage, die sich durch Offenlegen auf ebenso magische Weise lösen. Tatsächlich verblüffen die Ergebnisse ... Nicht immer stehen Probleme in Beziehung, Familie oder Job im Mittelpunkt: Marketing-Fachleute testen beispielsweise über Aufstellungen die Akzeptanz für neue Produkte, bevor diese auf den Markt kommen, und Drehbuchautoren stellen sogar die Protagonisten ihrer Story auf, um zu überprüfen, ob die Handlungsdynamik stimmig ist.

Doch was ist eigentlich eine Familienaufstellung? Es handelt sich um eine Methode, die sich aus verschiedenen familientherapeutischen Richtungen entwickelte und in Deutschland durch den Therapeuten Bert Hellinger bekannt wurde. Mit ihrer Hilfe kann man komplizierten Familienstrukturen auf die Spur kommen und ganz bestimmte, immer wiederkehrende Problemmuster auflösen, sobald deren Hintergründe aufgedeckt worden sind.

Und so läuft eine Familienaufstellung ab: Der Teilnehmer wird vom Seminarleiter gebeten, sich aus der Gruppe der anderen Teilnehmer so genannte Stellvertreter-Personen auszusuchen: für sich selbst, die Mutter, den Vater, den Bruder, die Großmutter, den Chef, die Arbeitskollegen - je nach Problemstellung. Diesen Stellvertretern weist man einen bestimmten Platz im Raum zu und richtet sie zueinander so aus, wie die realen Familienmitglieder dem eigenen inneren Bild nach in Beziehung zueinander stehen. Ab dann ist man nur noch Zuschauer und erlebt das Drama seiner Familie. Der Leiter macht nun vorsichtige Umgruppierungsvorschläge und fragt jede Person, wie es ihr nach der Stellungsänderung geht. Das Erstaunliche dabei ist, dass die Stellvertreter-Personen die echten Familienmitglieder nicht nur repräsentieren, sondern geradezu in deren Wesen hineinschlüpfen und gestikulieren, fühlen, handeln wie diese.

Der Aufstellende erhält durch die Äußerungen der Stellvertreter wichtige Informationen über das Erleben der realen Familie und kann so mögliche Beziehungsstörungen aufdecken. Die können weit in die Vergangenheit zurückreichen, bis zu den Großeltern, aber als Muster sozusagen auf die Gegenwart überspringen und belasten.

Auf sehr moderne Weise geht die Münchnerin Kristine Alex (geb. Erb) das Thema unter dem Begriff "Organisationsaufstellungen" an. In ihrem Schwabinger Gruppenraum macht sie neben Familienaufstellungen vor allem betriebliche Arbeitsaufstellungen. Gerade Firmen entdecken diese Methode, denn eine halb- oder einstündige Sitzung mit einem Teamchef beispielsweise kann die Durchführung eines tagelangen Teamentwicklungsseminars mit allen beteiligten Angestellten ersparen.

Tipp: Suchen Sie sich für eine Familienaufstellung einen speziell ausgebildeten Therapeuten. Denn nicht selten wird die Seele bei einer Sitzung bloßgelegt - dann ist es wichtig, eine entsprechende psychologische Begleitung zu erfahren.

Stefan Esser

Interview mit Kristine Alex (geb. Erb)" Bei einer Aufstellung ist es als stehe man auf einem Berg: Plötzlich hat man einen Überblick über alles" Verstrickungen erkennen, Konflikte lösen.

Was sind die Vorteile der Aufstellungs-Methode?

Kristine Alex (geb. Erb): Vor allem werden in ganz kurzer Zeit Lösungswege sichtbar für Entscheidungssituationen oder Konflikte. Es ist gerade auch für intellektuelle, kopfgesteuerte Menschen eine gute Methode. Hier kann man sich nichts mehr vormachen. Ein Vorteil ist auch, dass es immer funktioniert, dass das, was herauskommt, stimmt - fragen Sie mich aber nicht, warum.

Wieso kann man sich nichts mehr vormachen?

Erb: Weil man ja selber nicht redet und handelt, sondern nur dabei ist bei seiner Aufstellung, die gleich im Anfangsbild die momentaneWirklichkeit spiegelt. Es ist, als steigt man auf einen Berg und habe erstmals einen richtigen Überblick über alles.

Sie unterteilen bei den Aufstellungen in ein Anfangsbild, ein verändertes Bild und ein Schluss- oder Lösungsbild.

Erb: Das erste Bild zeigt immer den Status Quo, die gegenwärtige Situation. Das Ziel ist aber nun nicht, sich bei den Ursachen für die Situation aufzuhalten, sondern über verschiedene Schritte ein Lösungsbild zu entwickeln.
Eine Frau wird beispielsweise im Büro fürchterlich gemobbt. Wie geht da die Aufstellung vor sich? Erb: Das Anliegen des Klienten wird in einem kurzen Gespräch geklärt. Dann sucht er in der Gruppe die Repräsentanten aus und positioniert sie nach Gefühl im Raum, das ist das Anfangsbild, der Status Quo. Der Klient schaut sich dann das Ganze nur noch von außen an. Dann fragt der Aufstellungsleiter bei den Personen ab, wie es ihnen geht in der Situation. Schon das Anfangsbild bringt oft viel Erkenntnis, weil man besser versteht, was wirklich los ist, man kann seine Wahrnehmung überprüfen.Dann geht es mit Umstellen und verbalen Interaktionen weiter, das sind dann Prozesse, bis hin zu einem Lösungsbild, das entwickelt werden soll. In dem Mobbing-Beispiel würde man vielleicht zu der Hauptperson die drei Personen aufstellen, von denen sie gemobbt wird, und es könnte sich im Schlussbild erweisen, dass eine der treibenden Personen sie in Wirklichkeit total um ihre Fähigkeiten beneidet.

Die Personen, die als Repräsentanten für die echten Personen aufgestellt werden, müssen nichts wissen?

Erb: Man kennt sich meist nicht einmal. Die Repräsentanten müssen nicht einmal wissen, um was es geht und als welche Person sie nun aufgestellt werden - es funktioniert dennoch, weil es nicht über die intellektuelle Schiene funktioniert.

Wie kommt zu Veränderungen des Status Quo, der Ausgangssituation?

Erb: Es gibt zwei Möglichkeiten, um Veränderungsprozesse einzuleiten: Man stellt die Personen um, positioniert sie also an einem anderen Platz im Raum. Oder die Personen sagen sich gegenseitig Sätze, die das benennen um was es wirklich geht. Dies nennt man verbale Interaktion.

Wie stark greifen Sie als Therapeutin beim Umstellen ein?

Erb: Die Personen wollen sich manchmal von selbst umstellen, eine andere Position einnehmen. Passiert das nicht, ist mein Eingreifen nur ein Vorschlag. Nach einigen Bewegungen entsteht schließlich das zweite Bild der Aufstellung und es wird wieder genau abgefragt, wie jeder sich fühlt.

Und daraus erkennt man, was an Beziehungen und Umständen womöglich nicht stimmt?

Erb: Die Repräsentanten spüren sich hier sozusagen voll rein. Gesten, Mimik und Diktion sind oft exakt so wie bei der wirklichen Person, obwohl sie die nie gesehen haben. Übrigens ist jeder Mensch ohne Schulung als Stellvertreter geeignet.

Beim eher therapeutischen klassischen Hellinger-Familienstellen ist auch viel von Lasten die Rede ...

Erb: Da werden, wenn man erkennt, dass Lasten nicht dort sind, wo sie hingehören, in einer Art Ritual die Lasten wieder dem zurückgegeben, der sie auch tragen muss. Dabei übergibt die eine Person der anderen eine von den Kugeln, die ich in meiner Praxis liegen habe. Manche nehmen eine kleine, andere die allerschwerste, wenn sie merken, dass sie bislang etwas sehr Schweres tragen mussten, das eigentlich dem anderen gehört.

Gibt es am Schluss immer ein Lösungsbild, eine Problemlösung?

Erb: Das Problem kann sich durchaus schon nach einer Aufstellung sich völlig auflösen und schnell vergessen sein, es kann auch länger dauern. Das Lösungsbild ist eine Kraftquelle für den Klienten. Er stellt sich am Schluss auch noch selbst in dieses Gruppenbild hinein und kann noch einmal sehr klar alle Bezüge spüren. Nennen Sie ein Beispiel? Erb: Nehmen wir einen Chef, der seine Mitarbeiter kränkt und keiner traut sich recht, es ihm zu sagen: Bei der Aufstellung sieht er einfach, was Sache ist -das kann er dann annehmen oder nicht. Ich bin als Coach dabei sehr achtsam, das heißt neutral. Ich kann nichts reininterpretieren, was die sehr feinfühligen Repräsentanten nicht akzeptieren. Die Stellvertreter stellen die echten Personen wie durch eine telepathische Verbindung dar.

Gibt es dafür nicht doch eine genauere Erklärung?

Erb: Ich erlebe immer wieder, dass es funktioniert, die Rückmeldungen der Leuten zeigen dies. Es gibt viele Naturwissenschaftler, die solche Phänomene von unbewussten Informationskanälen zwischen Menschen untersucht und beschrieben haben. Zum Beispiel man denkt an jemanden und er ruft im selben Moment an ...

Können Eltern durch eine Aufstellung auch die Probleme ihrer Kinder lösen?

Sehr gut. Ein Beispiel: Der Vater hat früher eine Frau auf unschöne Weise verlassen, das Kind spürt diese Ausgrenzung der Exfreundin und übernimmt unbewusst ihre Trauer, die sich in Aggression ausdrückt. Muster reproduzieren sich oft, vor allem, wenn Verdrängungsprozesse nicht verarbeitet wurden. Durch die Aufstellung wird das Problem behoben.

Was ist anders bei Organisationsaufstellungen, wo es um berufliche Systeme geht?

Erb: Es hat nicht die extreme Dichte wie das Familienaufstellen, die Familie ist ja noch viel mehr ein Basis-System, während Arbeitssysteme aufgabenorientiert sind. Aber man muss sehr aufpassen, denn im Arbeitssystem suchen sich die meisten Menschen den Platz aus, der vom Familiensystem her vertraut ist.

Manchmal werden auch Berufsmuster von Vorfahren unbewusst nachgelebt. Wenn einem das bewusst wird, kann man sich leichter frei machen, seinen Weg gehen.