Süddeutsche Zeitung 01/2002

08.01.2002

Nr. 6 / MÜNCHNER KULTUR / Dienstag, 8. Januar 2002

Raum für die Psyche

Drehbuchaufstellungen:Wie die Filmbranche Skripte verbessern will  Von CLAUDIA FISCHER,

Verantwortlich-Antje Weber

Hat nun das Wassermannzeitalter begonnen? In den Augen von Esoterikern und Astrologen ja. Die Schulmedizin öffnet sich der Homöopathie, Therapeuten beziehen nicht erklärbare Phänomene in den Coachingprozess mit ein, Unternehmen stellen nach Sternzeichen ein. Und Kristine Alex (geb. Erb), Psychologin* und Unternehmensberaterin mit dem akademischen Grad Dipl. oec. troph. und Inhaberin des Münchner Beratungsinstitutes "Systeme in Aktion", schreibt am Schluss ihres Buches"Momentan erleben wir bei Aufstellungen ständig wieder die Verbundenheit der Dinge und Ereignisse und arbeiten damit, ohne dass wir schon im Detail erklären können, warum dies so ist und funktioniert."Ein Satz, der wie ein Zugeständnis der westlichen Wissenschaft an die Grauzone zwischen Himmel und Erde wirkt. Und wenn rational denkende Menschen wie Christiane Conradi, Geschäftsführerin des Bayerischen Filmzentrums im Geiselgasteig, so genannte systemische Drehbuchaufstellungen statt herkömmlicher Drehbuchseminare abhalten lässt, um darauf zu reagieren, dass immer schlechtere Drehbücher eingereicht werden, dann könnte auch das ein Zeichen sein.

Ein Aufstellungsseminar hat Kristine Alex (geb. Erb) im Auftrag des Bayerischen Filmzentrums schon gegeben, ein weiteres ist im Februar geplant.  Nun hat die systemische Familienaufstellung, auf der die Drehbuchaufstellung beruht, natürlich nichts mit Hexenkunst zu, tun. Sie ist zunächst nur eine von Psychoanalytiker Bert Hellinger vor 20 Jahren entwickelte familientherapeutische Methode, bei der sich Stellvertreter ohne vorherige Information in ein aufgestelltes Svstem, zum Beispiel eine Familie, in Personen oder abstrakte Positionen hinein spüren.

Das systemische Drehbuchaufstellen arbeitet nach demselben Prinzip: Der Autor stellt räumlich nach, wie die einzelnen, von ihm entworfenen Film-Figuren zueinander stehen. Denn irgend etwas stimmt nicht in der Psychologie der Figuren, in der Schlüssigkeit des dramaturgischen Bogens. Das ist ihm erst klar geworden, nachdem er schon das halbe Buch geschrieben hat. Oder nachdem er es gerade beendet hat. Oder vielleicht schon beim Exposé. Stimmt die Spannung in meinem Stück? "Reicht die Aggression aus, damit der Seeräuber den Kapitän umbringt?" "Kommen die verschiedenen Archetypen und Charaktere richtig raus?"Die Repräsentanten werden nach ihrem Befinden am neuen Platz im Raum befragt und geben einen plastischen Eindruck über die Rollen und wichtigen Interaktionen des Drehbuchs. Man weiß in dem Moment, in dem man da steht sehr viel über diese Figur, stellte eine Redakteurin, die Drehbuchautoren betreut und selbst an einer Drehbuchaufstellung teilgenommen hat, erstaunt fest. "Ich wusste auf einmal alles über den Gefühlshaushalt dieser Anna, die ich verkörperte - aber fragen Sie mich nicht, wieso. Man kann es nicht erklären." Mit diesem unerklärlichen Moment des emotionalen Wissens über Personen, die man nie gekannt hat, wirft sich die Aufstellungsarbeit der Psychologie zum Fraße vor. Unglaublichkeiten sind in der Wissenschaft nicht vorgesehen.

Die Geister, die sie rief, werden auch Christiane Conradi manchmal ein wenig zu monströs, und deshalb möchte sie, die im Programm "First Movie" Drehbuchautoren betreut, alles nicht zu sehr in die gespenstische Ecke gedrängt sehen. Das Drehbuch an sich ist ia auch kein Mysterium, sondern ein sehr realer gehefteter Stapel Papier. Und Drehbuchautoren sind gemeinhin keine Alchemisten, auch wenn sie in gewisser Weise auf der Suche nach dem Stein der Weisen sind. Und dass sie zu einer zugegebenermaßen zur Zeit stark im Trend liegenden Strömung in der Familientherapie griff, um Drehbücher zu therapieren, und damit sogar einen neuen Weg erprobt, abseits der alten Schule um amerikanische Drehbuchpäpste wie Don Bohlinger und Robert Mc Kee oder den tschechischen Filmdozenten Frank Daniel, wurzelt letztlich in einem Motiv, das alles andere als mystisch ist. Sondern sehr solide gedacht: dass nämlich die Investition in die Drehbuchentwicklung betriebswirtschaftlich gesehen billiger kommt als die kostenintensiven Dreharbeiten, die sich, hat das Skript Schwächen, umso länger ziehen. Eine Sichtweise, die in Amerika längst vorherrschte wo Dreharbeiten nicht beginnen, ohne dass zuvor das Drehbuch mehrere Male umgeschrieben wurde."Wenn ich mir die Stoffe anschaue, die heute eingereicht werden, frage ich mich in den meisten Fällen: Wo sind die Menschen? Dann fehlen mir Figuren, die ich hassen, lieben, vermissen kann", urteilt Conradi. Sie berichtet von "blutleeren Figuren, die um den Plot herumgemanscht werden." Insbesondere jüngere Autoren reichten oft halb fertige und unausgegorene Drehbücher ein.

Warum das so ist? Eine schlüssige Antwort hat die Geschäftsführerin des Filmzentrums, die pro Jahr circa hundert Drehbücher auf den Schreibtisch bekommt, darauf nicht. Ist es die Reizüberflutung? Zumindest eine gewisse Sprach- und Einfallslosigkeit auf allen kultureIlen Gebieten, findet sie: Remakes, wohin man schaut. Gerade jüngere Autoren wählten mit Vorliebe ihr engeres Umfeld als Stoffvorlage, seien aber oft noch nicht reif genug, sich in der gebotenen psychologischen Tiefe mit den Figuren auseinander zu setzen. Nicht selten stellt der eine oder andere Drehbuchschreiber beim Aufstellen erstaunt fest, dass er die ganze Zeit dabei war, seine eigene Biografie zu schreiben. Dass er das selbst merkt, ist schon mal der halbe Therarapieerfolg.

 *Anmerkung zur Vermeidung von Missverständnissen von K.E.: Frau Erb hat die offiziell anerkannte Psychotherapieerlaubnis (HPG) und bezeichnet sich jedoch nicht als Psychologin. Die Redaktion wurde darauf aufmerksam gemacht.